Pogo in der finnischen Sauna
Donnerstag, 17. April 2008, 20:40 Uhr
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Es gibt Situationen, in denen man erbarmungslos mit dem Umstand konfrontiert wird, dass man keine 20 mehr ist – zumindest nicht körperlich. Von dieser etwas bitteren Erfahrung wurde ich jedenfalls gestern in einem Moment höchster Verzückung überrollt. Doch der Reihe nach…

Lange mussten Stiggi, Maggus und ich darauf warten: “Eläkeläiset” ist nach zwei Jahren endlich wieder auf Tour! Gestern war es dann endlich soweit und die trinkfesten Finnen gastierten im Karlsruher Substage. Gegen 19:00 Uhr holte mich Stiggi bei regnerischem Wetter zu Hause ab und wir düsten bei noch regnerischerem Wetter in Richtung Karlsruhe. Dort angelangt trafen wir vor dem Eingang zum Substage den Maggus, dem wegen einer Schulung (”Wirtschaftsmathematik mit dem Abakus” oder so) leider das Vergnügen einer gemeinsamen Anreise verwehrt geblieben war.

Nach einer Weile begaben wir uns in die Katakomben des Veranstaltungsortes und besorgten uns die ersten Biere des Abends, wobei Maggus beim Bezahlen sein ganzes rechnerisches und rhetorisches Talent ausspielen konnte, da er eine Unregelmäßigkeit in der verlangten Gesamtsumme feststellte. Wir schlurften in Richtung Bühne und wunderten uns ein wenig über das Bild, welches sich uns dort bot: Es standen keine Tische und Stühle auf dem Podest (”Eläkeläiset” treten normalerweise im Sitzen auf!), aber dafür konnte man ein komplettes Drum Kit bewundern – “Eläkeläisets” Schlagzeuger Janne Hurskainen aka Kristian Voutilainen spielt in der Regel auf einem abgespeckten Kit, bestehend aus Bass Drum, Snare, HiHat und Becken. Wir waren uns plötzlich nicht mehr so sicher, ob wir uns tatsächlich zur rechten Zeit am rechten Ort befanden. Der ungewöhnliche Bühnenaufbau erklärte sich aber von selbst als gegen 21:00 Uhr drei Herren mittleren Alters in die Hitze der Scheinwerfer traten und sich mit “We are [unverständlich] from Helsinki” vorstellten.

Bei dem Trio handelte es sich um die finnische Action-Blues-Band “Daddy Giljoteen“, wie ich beim späteren Nachgoogeln herausfinden konnte. Zwar gehört dieser Musikstil nicht unbedingt zu meinen bevorzugten Hörgenüssen, aber live und bei guter Stimmung bin ich durchaus offen dafür. Die drei Jungs heizten die Stimmung jedenfalls ordentlich an und Stiggi, Maggus und ich brüllten uns anerkennende Kommentare in die Ohren. “Daddy Giljoteen” ging richtig gut ab und sei Blues- oder Southern-Rock-Fans an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen. Nach geschätzten vierzig Minuten verließ die Band die Bühne unter sattem Applaus, den sie sich wirklich hart verdient hatte. Da ich einen Kapuzenpulli (”Eläkeläiset – Humppa Advisory – Explicit Idiots”) trug und beim Auftritt der Vorgruppe ordentlich mitgewippt hatte, lief mir bereits zu diesem Zeitpunkt der Schweiß aus sämtlichen Poren. Es folgte dann eine längere Umbaupause (ca. 20 Minuten?), in der sich die durch “Daddy Giljoteen” angeheizte Stimmung leider wieder ein wenig abkühlte.

Das Gedränge vor der Bühne wurde größer und dann tönte endlich Julius Fučíks “Einzug der Gladiatoren” in einer schrägen Bontempi-Orgel-Version aus den Boxen – Ein sicherers Zeichen dafür, dass “Eläkeläiset” nun bald loslegen würde. Die Stimmung erreichte den ersten Höhepunkt des Abends, als das Publikum die Melodie der Zirkusmusik lauthals mitgröhlte. Und dann waren sie endlich da: “Eläkeläiset” – Diesmal als Quintett. Ich erwähne das nur, weil sie öfter mal in wechselnden Besetzungen und Stärken auftreten. Die Herren machten in modischer Hinsicht ihrem Bandnamen (”Eläkeläiset” ist das finnische Wort für “Rentner”) wieder einmal alle Ehre: Westen, Krawatten und weiße Hemden. Dazu kamen noch diverse unmodische Kopfbedeckungen. Auf der Bühne wurden die Sitzplätze eingenommen, die Instrumente gegriffen und diverse alkoholische Getränke entkorkt. Das Publikum wurde begrüßt und etwa zwei Minuten später fühlte ich mich, als sei ein Filmzitat aus Ridley Scotts “Gladiator” Fleisch geworden. Dort sagt nämlich Russell Crowe in der Rolle des römischen Generals Maximus Decimus folgende Worte: “At my signal, unleash hell!”

Und die Hölle brach dann auch wirklich los. Bei den ersten Humppa-Takten begann die Menge zu hüpfen und stieg in den vorderen Reihen nach kurzer Zeit auf Pogo um. Da wir etwa in der vierten Reihe standen, wurden wir natürlich sofort in das lebhafte Geschiebe, Gestoße und Gedränge gezogen und mischten anfangs auch ganz ordentlich mit. Auf den Konzerten von 2005 und 2006 hatten wir schon ähnliche Erfahrungen gemacht; waren also ganz gut auf Pogo eingestellt. Nur in diesem Jahr schien die Fangemeinde durch die lange Tour-Pause von “Eläkeläiset” schier ausgehungert zu sein. Es ging mordsmäßig ab! Irgendwann verstolperte ich mich und stürzte. Allerdings schlug ich nicht auf dem Boden auf, da mich nach etwa zwei Dritteln des Sturzes zahlreiche helfende Hände wieder auf die Füße brachten. Da ich zu dick angezogen war, vor dem Konzert zu wenig getrunken hatte und sowieso ein Konditionsproblem habe, hielt ich das energiegeladene Treiben vor der Bühne nur über die Dauer der ersten beiden Songs durch, dann verpisste ich mich völlig nass geschwitzt und außer Atem aus der Gefahrenzone.

Maggus folgte kurz darauf und wir holten uns erst einmal ein Bierchen, um uns abzukühlen. Irgendwann kam auch Stiggi aus der Menge und berichtete gut gelaunt über seine blauen Flecken. Bei seinen Ausführungen taufte er das Substage noch ganz nebenbei in “finnische Sauna” um, was uns aufgrund der dunstigen Luft im Zusammenspiel mit der dargebotenen Musik äußerst passend erschien. Wir standen eine ganze Weile hinter dem Mischpult herum, wo es um einige Härtegrade ruhiger zuging. Nach einer angemessenen Regenerationspause stürzten wir uns wieder ins Getümmel, hielten uns aber vorsichtshalber vom Pogo-Bereich fern. “Eläkeläsiet” gab wieder einmal alles, die Musik war klasse und die Stimmung im Saal unbeschreiblich gut. Beim nächsten Mal sind wir wieder mit dabei. Selbstverständlich nehme ich dann auch wieder meine finnische Fahne mit (”Ach! Der Typ war also Squalus!”). Schade nur, dass ich keine Kondition mehr zum Pogen habe – Ich bin halt keine 20 mehr…


1 Kommentar bisher
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[...] Trotz unseres pünktlichen Erscheinens sicherten wir uns – aus Erfahrung klug – keine Plätze direkt vor der Bühne, da wir diesmal nicht auf Einquetschen oder Pogo aus waren. Stattdessen stellten wir uns, wie bereits im letzten Jahr, halbrechts vor das Mischpult und konnten so das Konzert ohne größere körperliche Schäden hinter uns bringen. Mit etwas Verspätung betraten Eläkeläiset, auch diesmal zu fünft (Drums, Bass, Akkordeon, 2x Keyboard), kurz nach 21:00 Uhr zur Bontempi-Version von Julius Fučíks “Einmarsch der Gladiatoren” – von den Fans begeistert mitgejohlt – die Bühne. Nachdem geklärt war, was das Publikum hören wollte (”What do you want to hear?” – “HUMPPA!”), wurde erst einmal, einer uralten Eläkeläiset-Tradition folgend, die Aufnahmebereitschaft der Zuhörer kontrolliert. Ein Bandmitglied fragt “Bereit?” und das Publikum signalisiert durch seine erhobenen Hände, dass es losgehen kann. Dieses Ritual wird vor jedem Song zelebriert, sofern die Herren hinter ihren Tischen sich nicht in finnisch-englisch-deutschem Kauderwelsch verplappern oder sonstwie verblödeln (”Ich möchte f***en wie ein Trabant!”). In einem solchen Fall kann es auch einmal vorkommen, dass die Band den nächsten Song ohne “Bereitschaft” des Publikums spielt. [...]

Pingback von Squalus am 23.04.2009 um 15:48



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