Die arme Sau im Plattenbau
Freitag, 3. September 2010, 22:05 Uhr
Abgelegt unter: Allgemein, Film und Fernsehen

So, nachdem ich mich ja in meinem letzten Blog-Eintrag darüber ausgelassen habe, dass man, wenn man einen Slasher-Film gesehen hat, eigentlich alle kennt, müsste ich nun eigentlich dasselbe über Serienmörder-Streifen schreiben. Nun, „Tony“ ist ein Film über einen Serienmörder und tatsächlich beschlich mich beim Anschauen das seltsame Gefühl, dass man auch hier wieder alles schon einmal gesehen hat. Vor allen Dingen der vielfach in anderen Rezensionen zu findende Vergleich mit „Henry: Portrait of a Serial Killer“ liegt wirklich nahe. Trotzdem möchte ich mit „Tony“ nicht allzu hart ins Gericht gehen, denn grundsätzlich hat er mir trotz aller Déjà-vu-Momente ganz gut gefallen.

Der Film transportiert eine herrlich triste Atmosphäre, was zum einen der hervorragenden schauspielerischen Leistung des Hauptdarstellers Peter Ferdinando zu verdanken ist und andererseits mit der sorgfältigen Auswahl der Drehorte zusammenhängt. In einer einleitenden Ansprache vor der Vorstellung wurde der Begriff ‚Sozialtristesse’ genannt und besser könnte man das Gezeigte wohl kaum benennen.

Tony lebt zurückgezogen in einem heruntergekommenen Londoner Sozialbau. Er ist seit über zwanzig Jahren arbeitslos und scheinbar nicht in der Lage irgendwelche sozialen Kontakte zu seinen Mitmenschen aufzunehmen. Seine Versuche, sich aus dieser Situation zu befreien, wirken linkisch und hilflos. Man kann den Kerl getrost als arme Sau bezeichnen. So kommt es auch, dass ich den Film nur an seiner Oberfläche als eine Mördergeschichte wahrgenommen habe, „Tony“ geht tiefer und bietet mehr als nur eine Handvoll Tötungen für den gemeinen Krimi-Thriller-Zuschauer. Nein, die Story entpuppt sich in ihrem Verlauf als trostloses und bitteres Sozialdrama über Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit und die Kälte unserer Gesellschaft.

Der „Held“ der Geschichte ist ein völlig vereinsamter Mensch, dem im Leben sämtliche Perspektiven abhanden gekommen sind. Er hat im Grunde genommen nichts mehr zu verlieren – Wenn man es genau nimmt, hatte er noch nie etwas zu verlieren. Warum er tötet, wird nicht direkt erklärt, aber dem Zuschauer wird die Möglichkeit gegeben, diskrete Hinweise zu entschlüsseln. Tony tötet aus Einsamkeit, er tötet aus Verzweiflung, er tötet in Panik. Er ist kein eiskalter Killer, der seine Opfer gezielt und mit perverser Lust ins Jenseits befördert. Zwar ist klar, dass er mit einer extremen psychischen Störung geschlagen ist, aber er wirkt in keiner Szene des Films bedrohlich oder bösartig. Wir haben es hier tatsächlich mit dem fast schon sprichwörtlichen „netten Killer von nebenan“ zu tun.

„Tony“ ist ein ruhig und unaufdringlich erzähltes Drama, das seine Wirkung vielleicht erst richtig nach dem Anschauen entfaltet. Sanft auf der Zunge, bitter im Abgang…

(7 von 10 Punkten)



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