Der verbockte Musenkuss
Mittwoch, 7. Juli 2004, 23:21 Uhr
Abgelegt unter: Allgemein, Film und Fernsehen, Genervt!, Squalus classic

Nun wollte mich die Muse küssen, doch in einem Anfall von Leidenschaft beachtete ich leider nicht die erste Grundregel beim Musenküssen: “Die Zunge bleibt drin!” – Klar, dass die Muse Inspiration, Kreativität und Tatendrang in ihr edles Kofferset aus Pegasusleder packte und umgehend die Biege machte. Den versprochenen Liter Wasser aus der Kastalischen Quelle nahm sie selbstverständlich auch mit. Ein äußerst unfeiner Zug von ihr, wenn man bedenkt, dass mir dadurch nicht nur die Dichtergabe entgangen ist, sondern auch eine wichtige Flüssigkeitsdosis für das alltägliche Durchspülen meiner Nieren. So muss ich also weiter Leitungswasser aufsprudeln und hier unkreative Langeweiletexte verbrechen.

Augenblicklich fehlt mir auch noch die nötige Aggressivität, um meine üblichen Rundumschläge gegen alles und jeden zu verteilen. Vielmehr sorgt der überraschende Ausgang der Fußball EM für ein persönliches Stimmungshoch. Griechenland ist Europameister und die ‘großen Fußballnationen’ haben sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Wenn das kein Grund ist, mich entspannt zurückzulehnen und mit Genugtuung festzustellen, dass auch Außenseiter auf diesem mistigen Planeten durchaus zum Zuge kommen können.

Klar, dass der Sieg der Griechen von deutschen Sportjournalisten gleich in einen quasi-deutschen EM-Triumph verdreht wurde. Wenn es die eigene Nationalelf nicht packt, klammert man sich eben an jeden Strohhalm, der sich anbietet. Natürlich kann man nicht leugnen, dass der Deutsche Otto Rehhagel hervorragende Arbeit mit seiner Mannschaft geleistet hat, aber letztendlich haben griechische Spieler auf dem Platz die Siege errungen. Das wurde meiner Meinung nach von der deutschen Sportpresse vor lauter Otto-Begeisterung kaum gewürdigt. Versteht mich bitte nicht falsch: Ich freue mich selbstverständlich für Rehhagel und erkenne seine Leistung uneingeschränkt an; mich nervt nur die Berichterstattung, die vor lauter Enthusiasmus für eine Einzelperson aus den Augen verliert, dass normalerweise das Team der Star ist.

Wo wir gerade bei Stars sind. Die Kommentatorengespanne des öffentlich-rechtlichen Fernsehens üben eine gewisse Faszination auf mich aus. Im Rentner-Sender ZDF konnten mich Wolf-Dieter Poschmann und Franz Beckenbauer vollends überzeugen. Es war mir ein Vergnügen, den beiden energiegeladenen Stimmungskanonen (ich hoffe, man bemerkt den ironischen Unterton) bei ihrem Treiben zuzuschauen. Poschmann konnte so rein gar keinen bleibenden Eindruck, höchstens einen farblosen, bei mir hinterlassen. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege… er hatte bei irgendeinem Spiel mal ganz hübsche Schuhe an. Beckenbauer hatte da etwas mehr Unterhaltungswert. Mit seiner feinen bajuwarischen Art und den ständigen ‘Ah-ähs’ strahlten seine Kommentare den Charme irgendeiner Rede Edmund Stoibers aus, jedoch ohne dessen ätzende Aggressivität. Besonders hoch rechne ich dem Kaiser übrigens auch an, dass er sich in der Frage, ob Christoph Daum als Völler-Nachfolger in Frage käme, nicht der verlogenen Pseudomoral der Daum-Gegner anschloss, sondern ihn trotz des ‘Makels’ als ‘idealen Trainer’ bezeichnete. Naja, die einen koksen, die anderen moppeln auf Weihnachtsfeiern herum. Man muss auch verzeihen können, schließlich sind selbst Prominente nur Menschen. — Warum bin ich heute eigentlich so nett?

Die “Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland” (kurz ARD) baute während der EM wieder einmal auf seine bewährte Muppet Show. Gerhard Delling und Günter Netzer gaben wieder einmal alles, um ihren großen Vorbildern Waldorf und Stadler in nichts nachzustehen. Das ungleiche Paar servierte – zumindest mir – ganz großes Fernsehen. Delling lieferte die Vorlagen – Netzer verwandelte sie wie gewohnt mit intelligenter Schnodderigkeit in säuregeladene Volltreffer. Normal finde ich diese Art des Journalismus nicht, aber äußerst unterhaltsam. Natürlich spielen die beiden ihre festgelegten Rollen, die nur noch wenig Rückschlüsse auf die echten Menschen hinter der Maske schließen lassen. Aber wen interessiert schon der Arm, der im Muppetkopf steckt? Hauptsache, das Infotaiment stimmt! Immerhin sind die Jungs in der Lage, auch nach einem langweiligen Spiel noch ein wenig Stimmung in den lahmen Fernsehabend zu bringen. Mir gefällt’s.

Das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft empfand ich persönlich als äußerst entspannend. Nicht, dass ich es Rudis Truppe gewünscht bzw. gegönnt habe, mich kotzte die typische Überheblichkeit an, die große Teile der Bevölkerung bei großen internationalen Fußballturnieren anfällt. Ich rede hier nicht von einer Überheblichkeit der Spieler oder des Trainers – beileibe nicht! Diese haben sich zurückhaltend und korrekt verhalten. Vor allen Dingen Rudi Völler bewies wieder einmal menschliche Größe – und das nicht nur durch seinen Rücktritt vom Amt des Bundestrainers. Ich meine die verblendete Sicht vieler Fans und Journalisten. Die Erwartungshaltung dieser Leute und den damit verbundenen Druck auf das Team kann man fast als seelische Grausamkeit deuten. Wehe, Deutschland fliegt zu früh aus dem Wettkampf. Plötzlich schlägt die optimistische Stimmung in Häme und Blutdurst um – man will Köpfe rollen sehen. Dass vielleicht schon im Vorfeld die Möglichkeit eines vorzeitigen Ausscheidens bestand, will natürlich niemand bemerkt haben. Nee, man ist ja Deutschland und haut wenigstens bis zu einem bestimmten Punkt die ‘kleinen’ Gegner souverän weg. So scheint jedenfalls die Sicht vieler, die nicht auf dem Platz stehen.

Mein Spott gilt nicht den Spielern und dem Trainer, denen ich ein Weiterkommen wirklich gegönnt hätte, sondern all denjenigen, die in ihrer Verblendung nicht erkennen können, dass eine Niederlage für jeden Teilnehmer eines Turniers durchaus eine Option ist. Naja, Hauptsache, man kann im Notfall den Knüppel rausholen und auch noch auf die Verlierer einschlagen. Typisch ist übrigens auch, dass in solchen Situationen gern auf andere gezeigt wird, um vom eigenen Schmerz abzulenken. Dass z.B. England, Frankreich oder die Niederlande ihrer Favoritenrolle nicht ganz gerecht wurden, war sicherlich manchem ein Trost. Aber letztendlich kann man sich bei einer Erkältung auch Hämorrhoidensalbe auf die Brust schmieren. Wenn man nur ganz fest daran glaubt, wird die Nase auch dadurch wieder frei.

Was bleibt von der EM?

Zunächst muss man jetzt noch wochenlang den offiziellen Song zum Wettkampf auf sämtlichen Radiostationen über sich ergehen lassen. Wenigstens ist das Liedchen nicht ganz so penetrant wie manch andere EM- oder WM-Hymne der Vergangenheit.

Bastian Schweinsteiger machte auf dem Platz einen äußerst guten Eindruck, sofern man auf seine Beinarbeit und nicht auf seine Frisur achtete. Wahrscheinlich kommt er irgendwann selbst auf den Trichter, dass die Haare von einem gelernten Friseur im Salon besser geschnitten werden als von einem sehgeschädigten Schwarzarbeiter im heimischen Wohnzimmer. Solange er aber weiterhin so gut spielt, halte ich mich mit meinen Sticheleien mal zurück.

Wie der griechische Co-Trainer heißt? Keine Ahnung! Aber immerhin hat die Gehirnwäsche gewisser Kommentatoren dafür gesorgt, dass ich jetzt weiß, dass er in Stuttgart geboren wurde. Das musste ja in jedem zweiten Satz explizit betont werden.

Wenn ich noch einmal den Begriff ‘Ottokratie’ in einer Sportsendung höre, laufe ich Amok!

Gegen das inzwischen salonfähig gewordene Trikotzerren und Aufstützen sollte man endlich etwas unternehmen. Die Kinderkacke nervt mich als Zuschauer und scheint den einen oder anderen Schiedsrichter zu überfordern. Ich fordere Fausthandschuhe für alle Spieler und gegen das Aufstützen hätte ich auch schon eine Lösung im Hinterkopf. Kennt Ihr diese Stacheln, mit denen verhindert werden soll, dass sich Tauben an bestimmte Plätze setzen? Es müsste sich nur ein Sportartikelhersteller dazu durchringen, solche Schulterspikes in sein Sortiment aufzunehmen.

Die Fußball-EM 2004 ist also vorbei – Gott sei Dank läuft jetzt die Tour de France! Olympia wird mir am Arsch vorbeigehen und bis zur Fußball-WM 2006 ist es noch lang hin. Soweit meine Sportplanung für die nächsten zwei Jahre.

Bis denne…

Squalus


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